Das Leben der Eltern ist das Buch, indem die Kinder lesen
Letztens wurde ich gefragt, ob es essenziell sei Kinder zu haben. Eine Frage, die ich nicht sogleich beantworten konnte, die mich aber längere Zeit beschäftigte. Muss man Kinder auf die Welt stellen, um glücklich zu sein? Fact ist: je mehr Kinder man hat, je weniger Freiheiten bleiben. Das spürten wir bereits, als sich bei uns das Dritte ankündigte. Drei Kinder in externe Obhut zu geben ist schwieriger als Eins oder Zwei. Dafür entwickelte sich innerhalb der Familie eine ganz andere Dynamik. Ohne Kinder ist man unabhängig, kann tun und lassen was man will. Braucht keine Kompromisse einzugehen und muss auf nichts verzichten. Je länger mir die Frage im Kopf herumgeistert, komm ich zum Schluss, dass jeder individuell für sich entscheiden muss. In meinem Fall war es gut, Kinder zu bekommen. Mich erdet der Umstand, für jemanden zu sorgen. Man kann schon fast sagen, die Kinder bringen einen grossen Sinn in mein Leben. Dass dies auf Kosten der eigenen Freiheiten geht, spielt plötzlich keine grosse Rolle mehr. Kinder helfen mir, stets im Moment zu leben. Ich bin präsent und kann nicht studieren was gestern war oder morgen ist. Wenn ich sehe, wie unser Jüngster genüsslich sein Essen geniesst (oder seziert), dann ertappe ich mich oft, wie ich dabei gleich einen Gang runterschalten kann. Natürlich gibt es auch Momente, wo das Getriebe dann wieder auf Hochtouren läuft; nämlich dann, wenn der Streit ausbricht. Aber auch dort: im Moment lerne ich am meisten, wenn ich mich beobachte, wie ich in der Situation von Streit reagiere. Werde ich laut oder schaffe ich es, den Streit zu schlichten und eine Lösung zu finden? Es wäre verwegen zu sagen, dass man solche Aufgaben nur mit Kindern hat. Auch im Berufsleben gibt es immer wieder ähnliche Situationen. Somit ist es wirklich individuell, ob einem Kinder glücklich machen oder nicht, ob man sich dafür entscheidet oder lieber eigene Wege geht. Tendiert man aber dazu, egoistisch zu sein oder sozial in der Gesellschaft anzuecken, dann können Kinder sehr gute Lehrer und Wegbegleiter sein. Um die Selbstaufgabe oder temporäre Reduktion der eigenen Ansprüche wird man die ersten Jahre nicht herumkommen. Dafür kann man sich von all den schönen, gemeinsamen Erlebnissen nähren, die man wiederum ohne Kinder nicht erleben würde.
Henri Nouwen schrieb einmal: «Vielleicht gelangen wir durch ein Kind in die grösste Nähe zum Ewigen im Leben und erhalten einen flüchtigen Blick auf den Moment, in dem die tiefste Verwurzelung und die grösste Abtrennung aufeinandertreffen.» |